André Malraux hatte von
Groß-Scham (heute: Jamul Mare) bestimmt niemals etwas gehört, aber es scheint,
als habe er mit seiner Aussage „Das 21. Jahrhundert wird religiös sein, oder
gar nicht" die Zukunft des gewesenen Schwabendorfes gemeint.
In der Mitte des heute
meist von Rumänen bewohnten Dorfes steht als einziges Gotteshaus nur die schöne
katholische Kirche, die aber nur hie und da noch von einzelnen katholischen
Gläubigen besucht wird. Die einstigen fleißigen Besucher der Gottesdienste haben
schon seit Jahren Haus und Hof verlassen und sind in das ferne Mutterland
gezogen. Die Neubürger, die jetzt in den einstigen Schwabenhäusern wohnen, sind
fast alle orthodoxe Gläubige, die ihren Glauben in einem Privathaus ausüben.
Seit 1993 hat Groß-Scham keinen eigenen katholischen Pfarrer mehr, die
Gottesdienste werden an jedem zweiten Sonntag vom Gatajaer Pfarrer zelebriert.
Bei dieser Gelegenheit finden höchstens 10 bis 15 Katholiken den Weg in die
Kirche, das Vielfache der Besucherzahl bleibt ihr fern.
Die „fleißigste"
Kirchenbesucherin aus Groß-Scham ist die ungarische Seniorin Vera Kiss, eine
der etwa 140 hier lebenden Ungarn. Als Mesnerin betätigt sie täglich die mit elektrischem
Strom betriebenen Glocken, mit der Hand könnte sie diese nicht mehr ziehen. Für
das Läuten der Glocken bei einem Todesfall erhält sie 500 Lei (etwa 30
Pfennige). Diesen Dienst leistet sie nicht nur für katholische Gläubige,
sondern auch wenn Orthodoxe sterben, weil diese noch keine Glocke haben. Vera
néni, wie man die Frau im Dorfe nennt, sorgt für die regelmäßige Reinigung der
Kirche, doch wird diese kaum noch verschmutzt. So kann sie sich auch genügend
auf das Zählen der Verstorbenen und der noch lebenden Katholiken konzentrieren.
Auch die Orgel erklingt immer seltener, da der letzte Groß-Schamer Organist
auch nach Deutschland ausgewandert ist.
Es gib aber auch noch
Zeugnisse, daß die Kirche einst mit Leben gefüllt war. Auf der Außenwand der
Rückseite soll der rumänische Journalist Valentin Samânta (von der Tageszeitung
„Realitatea banateana" - Banater Realität) Namen von Stiftern der Kirche,
wie „Comitessa et Domina Amalia Gundaccara a Starhemberg nata Baronesa a Rosen
1825", „Porcia et Bruguera 1825", „Aurelius a Karatsonyi 1825"
und „Lazarus Karatsonyi de Beodra 1828" gefunden haben. Als Zeugnis
jüngster Zeiten dient das Jubiläumsbild des Kirchenchors. Es stammt aus dem
Jahre 1932, als man hier das 40. Gründungsjahr des Chors feierte. Es gibt aber
auch Spuren aus der „postkommunistischen Ära", die aber meist auf Diebstähle
und Einbrüche hinweisen. Die eiserne Spendentruhe des Hl. Antonius wurde aus
der Wand gerissen und ist für immer verschwunden. Ähnlich verschwand auch die
mit Gold überzogene Krone der Muttergottes. All diese Verluste wurden von den
im Ort verbliebenen Gläubigen ersetzt. Auch die gestohlenen Kerzenhalter wurden
am Dorfrand wiedergefunden, nachdem der Dieb gefaßt wurde. Unersetzt blieb aber
der Zeitschalter für das Glockenläuten, weshalb Vera néni jetzt bei jedem
Läuten einen Knopf der drei Glocken betätigen muß.
Doch nichts kann den
heutigen Zustand des geistigen Lebens des einstigen Schwabendorfes besser
bekunden als die Groß-Schamer Kirchenuhr. Mit ihrem jahrelangen Schweigen
symbolisiert sie das zum Aussterben verurteilte Kulturgut der deutschen Kolonisation
des Banats. Die Uhrzeiger deuten auf kurz nach zehn. Sollte die Uhr vielleicht
nach dem letzten Hochamt, das in Groß-Scham zelebriert wurde, für immer
stehengeblieben sein?
Sollte das nahende 21.
Jahrhundert in Groß-Scham wirklich nicht mehr religiös sein? Sollte durch ein
Wunder doch noch ein religiöses Erwachen im gewesenen Schwabendorf eintreten,
so wird dies bestimmt kein katholisches mehr sein. Man kann nur hoffen, daß die
orthodoxen „Neubürger" von Jamul Mare doch noch ein Gotteshaus erbauen und
den Ort wieder mit religiösem Leben füllen werden.
Januar 1996
Anton Zollner
Anmerkung des Verfassers: Laut Angaben der Heimatortsgemeinschaften lebten im Februar 1996 in Groß-Scham noch 47 und in Klopodia 28 deutsche Volkszugehörige.